Seit ca. fünf Jahren ist der „Do it Yourself“-Trend unaufhaltbar. Wir sammeln Pinterestsboards voll mit neuen Projekten, basteln Youtube-Tutorials nach und melden und für Nähkurse an. Warum zieht das werkeln so? Ab wann ist Selbermachen cooler geworden, als Selberkaufen?
Ich glaube meine Eltern waren ganz happy, als ich endlich nicht mehr selbst gemalte Bilder verschenkt habe, sondern mit echten Geschenken ankam. Irgendwann ist der Kühlschrank voll und die Wände im Arbeitszimmer haben keinen Platz mehr für eine Fotocollage. Seit zwei Jahren bin ich jedoch zur Selbermacherei zurückgekehrt. Da es sich so anfühlt, als könnten Muddi & Vaddi sich eigentlich sowieso alles über Amazon Prime innerhalb von 24h nach Hause liefern lassen und ich nichts mehr hasse, als sinnlosen Nanu Nana Shit zu schenken, wird yummy Schmackofatz produziert.
Der Wert der Dinge
Es gibt immer mehr Produkte und dank des Internets sind sie auch immer und überall verfügbar. Meist dauert es nicht lange und jede Art von Produkt ist international erhältlich. Da wird es schwer noch etwas zu finden, was besonders ist. Etwas, an dem das Herz auch länger hängen kann als nur bis zur nächsten Collection oder der nächsten Apple Keynote. Habt ihr noch langjährige geliebte Kleidungsstücke im Schrank?
Ich sorge mich da besonders um mein Verhältnis zur Kleidung. Ein paar Lieblingsteile habe ich noch, aber vielleicht langweilt mich bereits nach ein paar Mal tragen und durch den stetigen Konsumdruck fühlt man sich sowieso nie trendy genug. Egal wie aufgeklärt ich bin und es hasse, ich kann nur schwer gegen diese Gefühle ankommen. Also hatte ich mich eines Sommers selbst ausgetrickst und einen Nähkurs belegt. Es entstand ein Oberteil und eine Tasche.
Die Damen von der Kinkibox waren super entspannt und haben einer Vollblutanfängerin wie mir alles Step by Step erklärt. Auch, wenn es sonst ja oft genug klappt die schlechten Arbeitsbedingungen der Näherinnen vieler Marken aus dem Kopf und Gewissen wegzuverdrängen, so hatte ich diese während des Workshops die ganze Zeit vor mir. Wenn man so an der Schneiderpuppe sitzt (für alle, die jetzt Lust bekommen haben, die guten Stücke gibt es zB. von Dummydoll) und stundenlang an einer Sache arbeitet und sieht wie aus einzelnen Bestandteilen ein neues eigenes Produkt entsteht, dreht das Serotonin eine Extrarunde.
Glücklich rufe ich meine Omi an, die jegliche Handarbeit drauf hat und schreie hüpfend happy ins Telefon: „Ich habe etwas gemacht und ich kann es sogar anfassen und dir mal zeigen.“
Der Fluch der immateriellen digitalen Arbeit
Wenn ich Omi sonst erzähle, was ich den ganzen Tag so mache, ist das nur schwer für sie zu verstehen. Internet, Blogs, Social Media, Konzepte, Affiliatelinks, Likes – all das erscheint mir auch jedes Mal, wenn ich es so ausspreche wie eine eigene kleine Blasenwelt. Die Frage nach dem Sinn und Unsinn wollen wir an dieser Stelle, aber mal lieber nicht diskutieren. Fakt ist, durch einen digitalen Arbeitsplatz, an dem man eher mit Ideen, Gedanken und Organisation handelt, fühlt man sich als würde nie etwas wirklich fertig sein, weil oftmals kein tangibeles Produkt vor einem steht. Anders ist das, wenn ich altes Porzellan verkupfere oder Betonschalen baue.
Jeder kennt doch mindestens einen Menschen, der in den letzten 2 Jahren sowas gesagt hat wie:
„Ach eigentlich hab ich kein Bock mehr auf den ganzen Scheiß, ich zieh aufs Land und werde Schafe züchten oder eine Tischlerlehre machen. Eben mal einen richtigen Job.“
Genau aus diesem Grund, gibt es hundert Tausende von Pinterestboards, die sich nur um das Thema DIY drehen. Wir haben Lust wieder etwas anzufassen, wir haben Lust uns mal wieder die Hände dreckig zu machen und etwas entstehen zu lassen. Auch immer mehr Magazine sprießen in den letzten 3 Jahren am Zeitschriftenstand aus dem Boden. Es ist schon fast gruselig. Häkeln, nähen, werkeln – All das, was lange altbacken war, gibt uns jetzt ein wohlig warmes retroromantisches Gefühl. Eine Art Ausgleich für all das Bullshit-Bingo, das wir täglich im Büro spielen, wenn mal wieder ein Tag voller Meetings und Brainstormings rum ist und man sich fragt, was man eigentlich die 8h den ganzen Arbeitstag über gemacht hat.