Ich wollte nie aus Berlin weg. Nie. Sogar bei der Studienplatzwahl habe ich es gerade mal geschafft mich noch in Hamburg zu bewerben, ohne dorthin zu wollen. Vor sechs Jahren waren Auslandssemester etwas Exotisches, ich hatte bei Facebook gerade Mal fünf Freunde und in mir schlummerte kein Fernweh, denn ich hatte alles und alle, die ich wollte in einem Radius von 10km um mich herum. Hatte, wohlbemerkt.
Facebook-Druck: Reisen als Prestigeobjekt
Nach dem Abi stürzten sich einige Freunde nach Neuseeland, was für mich nach einem Abenteuer klang, das ich mich auf keinen Fall trauen würde und wollte. Andere Länder und Kulturen ja, Wegziehen aus meiner Comfortzone nein. Doch jetzt sechs Jahre später ist alles anders und ich versuche noch herauszufinden warum.
Anfangs dachte ich es sei ein Resultat aus Sozialneid und Umwelteinflüssen. Wenn alle 2 Tage Fotoalben auf Facebook hochgeladen werden, auf denen Menschen vor unfassbaren Panoramen stehen, mit Delfinen schwimmen oder irgendetwas anderes in türkisblauen Wasser machen, kann man schnell auf die Idee kommen etwas zu verpassen.
Im globalisierten Taumel zwischen Lebenslaufaufpimping und Neomanie konnte ich mein Fernweh nicht einordnen und musste erst ein bisschen reisen, um zu erkennen, dass der Wunsch wirklich aus meinem eigenen Inneren heraus gewachsen ist und nicht, weil es Standard wird mind. einen Auslandsaufenthalt gemacht und drei Kontinente besucht zu haben.
Der Unterschied meiner letzten Reisen war jedoch, dass ich nicht in Hotels lebte sondern das Glück hatte bei Freundesfreunden zu wohnen und die Städte wirklich ein bisschen kennenzulernen. Zwei Wochen in der Schweizer Natur und ich legte zum ersten Mal meinen Hauptstaddtpatriotismus ab. Ich freute mich nicht auf die Mutterstadt. Das war mir neu. Eigentlich war doch immer alles so flauschig in meiner gewohnten Umgebung und ich dachte es gäbe nichts Besseres.
Jetzt weiß ich, dass auch andere Städte und Länder sich richtig gut anfühlen können.
Durch das Reisen nimmt man Abstand und kaut das eigene Leben noch einmal mit anderen Geschmacksrichtungen durch. Mit dieser Erfahrung im Rucksack wird es mich in Zukunft weiter durch die Welt tragen, doch ich bin noch immer verwirrt, wenn ich darüber nachdenke wie viel wir alle reisen. Wenn ich wieder neue Blogs von jungen Mädels finde, die schon mit 24 die halbe Welt gesehen haben oder gerade wieder jemand sein Zimmer für 4 Monate untervermietet, weil er oder sie ein Praktikum an einem anderen Ort macht, dann bin ich froh, dass das alles möglich ist, es hat aber auch einen faden Beigeschmack.
Auch wenn alle die Augen Rollen beim Wort CO2-Foodprint, habe ich das immer wieder im Kopf wie viel Schmutz wir hinter uns herziehen und ich frage mich, ob Vielreiser am Ende innerlich irgendwo ankommen oder ob sie nur reisen, weil sie doch immer wieder etwas suchen. Das ganze „Don’t be a tourist“-System, bei dem man in Wohnungen von Einheimischen wohnt, versaut einigen Menschen Lebensqualität, auch wenn die Grundidee total spannend ist.
Reisen wir vielleicht nur so viel, weil es intellektuell, kultiviert und offen wirkt? Ich will nicht wissen wie viele Wochenendtrips nach Kopenhagen, London, etc. nur aus Prestige gemacht wurden, weil reisen eben fancy ist, obwohl man dann dort einfach in den gleichen Läden shoppen war und am Ende bei McDonalds gegessen hat.
>> Vielleicht ist das Fazit dieses Textes einfach nur, dass ich verbittert bin, weil ich bei diesem Reisemarathon nicht mitmachen kann und es so sein müsste, dass jeder den Drang hat die ganze Welt zu erkunden. Andererseits bin ich ziemlich zufrieden mit der Stadt, in der ich geboren wurde und lebe und darüber, dass ich weiß, was ich an ihr habe und was vielleicht noch fehlt. Reist, weil ihr neugierig seid und saugt die Städte ein!
Wieso reist ihr? Wollt ihr mehr reisen? Habt ihr Angst vor anderen Ländern? Was ist das nächste Ziel? Sagt es mir!