Die Zeit anhalten mit Kaffee? Manchmal lese ich die Morgenrituale erfolgreicher Frauen, bin angewidert und ziehe dann doch wieder meinen verschlumpten “Auf-den-letzten-Drücker-Rhythmus” durch. Mit meinem neuen Kaffeeritual habe ich mir einen kleinen Arschtritt aus dem Hamsterrad verpasst und winke den Turbo-Menschen entspannt mit meiner riesigen Kaffeetasse entgegen. Zeitluxus, ich will dich erlernen!
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Egal wie stressig meine Morgende waren, auf dem Weg in die Bahn besorgte ich mir immer einen Kaffee. Es war als könnte mir dieser kleine Becher die extra Portion Kraft besorgen, die mir der Alltag gleich wieder abverlangen würde. Der Papp-Pott mit Plastikdeckel hatte zum Sinnbild der Busyness hochgearbeitet. Ich erinnere mich noch an die vielen .gifs und Sprüchebilder, die ich damals in der Prä-Pinterest-Ära über we
Zeit ist meine neue Währung
Ich bin derzeit selber auf der Suche nach Entschleunigungsmaßnahmen und Möglichkeiten weniger Müll zu produzieren. Mein Leben ist im Umbruchsprozess und auch der Titel dieses Blogs “Einfach machen” soll nicht eine weitere Anleitung sein, was man alles tun kann, um noch schneller und besser optimiert durch sein Leben zu rasen. “Einfach machen” kann auch bedeutet es einfach mal ANDERS zu machen als alle anderen & nicht mehr nur darüber reden. Einfach mal nicht mehr mitmachen, was man früher täglich gemacht hat, sondern das wovon man die ganze Zeit immer redet: Ausbrechen, probieren, neue Prioritäten haben. Für mich ist hiermit zum Beispiel eine der größten Challenges Dinge langsam zu machen. “In einer Zeit, in der mir fast alles schnell und perfektioniert als App oder per bestellbarer Box nach Hause geliefert werden kann, muss ich versuchen den Dingen wieder Wert zu geben, da ich gerade merke, dass mich irgendwie nichts mehr von den Socken haut.” Ich kann es außerdem nicht mehr ignorieren, dass jedes Jahr mehr als 2,8 Milliarden Einwegbecher im Müll landen (allein in Deutschland!).
Ich muss meine Zeit anders erleben und spüren. Das klappt, wenn ich die Prozesse mancher Automationen aufbreche und meine Maschinen Urlaub machen. First World Problems here we go! Es geht los mit dem morgendlichen Kaffee als Ritual: Ich bin jetzt Besitzerin einer OUVER Coffee Drip Station!
Mahlen, kochen, gießen – Das Morgenritual
Kaffee war für mich lange Zeit ein schnelles Mittel zu einem noch ungeduldigerem Ziel: Wachsein, Leistung bringen, Work hard – Coffee hard. Da ich mich nun Schritt für Schritt von meinen schlechten Angewohnheiten entfernen will, habe ich den fixen Prozess des Kaffeebestellens mal aufgebrochen und stehe zu Hause selber am Kocher. In einer Welt aus Baristas und Kaffeeschaumkunst flattere ich nun mit meinem Kaffeefilter durch den Morgen.
“Die Pour Over Technik funktioniert komplett manuell. Man hat die volle Kontrolle über den Brühvorgang. Du bestimmst die Wassertemperatur, den Mahlgrad, die Menge oder die Dauer. Filterkaffee kannst du zelebrieren.” Birger Schneider, Kopf hinter OUVER.
Der Filter landet in der Glasvorrichtung während ich meinen kaputten Wasserkocher mit einem Holzstäbchen animiere zu kochen. Jetzt kommt das Mahlen der Bohnen. Mit nur einem offenen Auge und viel Muskelkraft rödele ich morgens los und erwache durch das laute Mahlgeräusch und die Anstrengung, die so eine Portion für 2 verlangt. Ich bin ganz überrascht, wie viel man dann doch (laut Durchschnittsangaben) braucht. Das Pulver landet im Filter und die Geruchssymphonie beginnt. Jeden Tage verstehe ich ein bisschen besser wie viel “Kaffeemehl” ich für meine Lieblingsstärke brauche. Manche Menschen sind sogar so professionell und benutzen beim “Drippen” eine Waage.
“Verrückt, dass ich hier in Berlin sitzen und diese Kaffeebohnen aus der Ferne trinken darf!” denke ich mir als ich mir meinen duftenden Konsum so unter die eigene Nase reibe. So ein Kilo Kaffee ist schnell verputzt. Der Wasserkocher ist bereits heiß gegluckert und nachdem die Tasse untergestellt ist, wird das Wasser in kreisenden Bewegungen langsam (!) in den Filter gegossen. Ich habe es zuerst auch nicht geglaubt, aber ob kreisend oder pragmatisch aufgefüllt macht wirklich einen Unterschied. Schon wieder muss also die Muskelkraft ran, obwohl das Einfüllen auch ein bisschen tänzerisch aussehen kann.
Ich bin gewiss nicht perfekt, doch Kaffee ist eine der Sachen, die ich immer fairtrade kaufe. Warum das sinnvoll ist, lest ihr hier.
Von Birger Schneider, der neben Architekt auch noch Tischler ist und diese Station baute, lernte ich, dass Kaffee ca. 800 Aroma-Komponenten hat. Das sind doppelt so viele wie Wein. Nicht umsonst gibt es jetzt auch Kaffeeverkostungen und eigene Röstereien in allen großen und kleinen Städten Deutschlands.
Filterkaffee und Nachhaltigkeit
Während ich erschrak als ich die Massen Kaffeepulver sah, die man so für eine gute Tasse braucht, scheint die Filtermethode jedoch eine der umweltfreundlichsten Methoden zu sein. Nach 2 Wochen ist zwischen mir und der Station eine kleine Freundschaft entstanden und mein Morgenritual hat sich um einen Kaffeetanz erweitert, der mich täglich liebevoll etwas ausbremst. Ich will aber noch etwas weitergehen und überlege, was ich mit den abgebrühten Resten machen kann. Dabei stieß ich auf Gesichtsmasken-Anleitungen und Pflanzentipps.
Natürlich sitzen jetzt einige von euch da und sagen: “Ach das kenn ich von Oma” oder “Man muss ja jetzt nicht wieder in die Höhlen kriechen, nur damit man weniger Stress hat”. Klar, das ganze Thema Entschleunigung, Achtsamkeit und bewusstes Leben kreist um althergebrachte Sachen, klammert Technik an einigen Stellen aus und bedeutet vielleicht auch einfach nur mal 20 Minuten am Tag auf der Parkbank sitzen und in den Himmel schauen, ABER wer bekommt das heutzutage so einfach hin? Mein Käffchen und ich üben das gemeinsame Nichtstun jetzt regelmäßig und es gefällt uns ziemlich gut. Ich bin dem Zeitluxus auf der Spur!
*Vielen Dank an Ouver, die mir diese Station bereitgestellt und so mein Zeitexperiment unterstützt haben.